Interview: Ist KI wirklich transformativ?

Transformation bedeutet eine tiefgreifende, bewusste Verhaltensänderung von Organisationen oder Individuen – nicht die bloße Einführung neuer Technologien. Künstliche Intelligenz entfaltet ihr volles transformatives Potenzial nur dann, wenn Unternehmen sie strategisch, visionär und mit klarer Zielsetzung einsetzen – was oft schon mit zwei entschlossenen internen Akteuren beginnt.

Was ist Transformation für Sie?

A Vocelka: Eine Transformation ist die fundamentale Wesensänderung eines komplexen Systems. Das heißt eine Verhaltensänderung. Daher wird der begriff für komplexe Organisationen und in gewissen Fällen auch für Menschen benutzt- wenn sie sich wandeln. Dabei wird die Änderung des Charakters, des Mindsets, der Einstellung zu wesentlichen Aspekten der Welt und eine grundsätzliche Verhaltensänderung beschrieben. Technologie per se bedeutet keine Transformation!

Wenn wir von transformativer Technologie sprechen, beginnt das in den Augen einiger bereits bei der Einführung von ERP-Systemen oder der Einführung eines neuen Workflowsystems im Unternehmen. Jedoch ergibt die reine Einführung von Technologie ohne Änderung der menschlichen Prozesse keine Änderung und sicherlich keine Transformation, keine Verhaltensänderung, keinen Change. Transformation wurde in den letzten 20 Jahren inflationär aufgebläht. Dasselbe gilt für die Nutzung von Suchmaschinen wie Google, oder die Nutzung von Chatbots wie ChatGPT. Sie ist nicht transformativ.

Wann ist Technologie transformativ?

A. Vocelka: Transformativ ist die Nutzung einer neuen Technologie nur, wenn die Menschen ihr Verhalten damit grundsätzlich, zumindest in einem Lebens- oder Arbeitsbereich grundsätzlich verändern. Das ist der Fall bei der Einführung von SMS-Systemen und ihren Derivaten wie WhatsApp. Sie verändert unsere Art, mit Menschen zu kommunizieren, zu interagieren, sie zu treffen, uns zu vereinbaren. Sie erlaubt es Eltern, ihre Jugendlichen öfter und länger auch abends unterwegs sein zu lassen. Teams, Zoom, etc. veränderten dann, wie wir arbeiteten, allerdings massiv erst ab dem Moment, als die reguläre Heimarbeitsplätze erlaubt wurden. Das geschah durch die Corona-Epidemie, die selbst hoch transformativ war.

Transformation ist also vor allem in der Interaktion zwischen den Menschen zu beobachten. Wenn wir also ChatGPT primär für uns selbst nutzen, sei es in der Arbeit oder im Privatleben, ist das nicht transformativ, obwohl es uns hilft, gewisse Arbeiten oder gewisse Private Aufgaben schneller und effizienter zu lösen. Schneller und effizienter zu sein, hat nichts mit Transformation zu tun.
Sich zu transformieren, ist immer eine wesentliche Anstrengung und sich in unbekanntes Territorium zu wagen. Daher vermeiden Menschen und Unternehmen instinktiv, sich zu transformieren, wenn die Vorteile nicht signifikant sind. Lieber nutze ich die neue Technologie, um etwas schneller und leichter dieselben Prozesse wie bisher durchzuführen, als neue Wege, neue Prozesse zu gehen. Dadurch passiert es häufig, dass neue Werkzeuge komplett falsch oder weit unter ihrem Nutzwert eingesetzt werden. Man schöpft nur ein Bruchteil des Produktivpotenzials aus, um Change zu vermeiden.

Dasselbe gilt sogar für die KI. Die bestehenden Transformer Modelle sind für uns Experten ein alter Hut, aber ein liebgewonnener, und so versuchen die KI-Spezialisten, alle Probleme als Nägel zu verstehen, weil sie nur den Neuronalen Hammer einsetzen wollen. Das führt dazu, dass wir immer größere Hämmer bauen, die sehr teuer sind, aber immer ineffizienter. Kein Tier könnte mit unseren aktuellen neuronalen Modellen auf biologische Art intelligent sein – es müsste 1000x massiver sein, um dieselben Aufgaben in seinem Lebenslauf zu verrichten. Teslas FSD zeichnet sich vor allem durch hunderte Millionen Kilometer erfahrener Videosequenzen aus. Kein biologisches Gehirn funktioniert auch nur annähernd so ineffizient.

Transformation ist also ein bewusster, gewollter und zielgerichteter Prozess?

A. Vocelka: Transformation ist in erster Linie davon abhängig, ob ein Unternehmen sich verändern will. Und wenn dies toolunterstützt erfolgen soll, benötigt das Unternehmen die Inspiration, wie eine neue Technologie genutzt werden kann, um eine bewusste, zielgerichtete Transformation vorzunehmen. Damit haben wir den Rahmen für die Beantwortung unserer Frage, ob und wie KI transformativ ist und sein kann.

Erkennt das Management das transformative Potenzial von KI und will es dieses erschließen, dann ist KI der größte Transformationskatalyst überhaupt. Dies bedingt aber auch, dass man das Potenzial konzeptionell erfassen und beschreiben und daraus dann eine Strategie mit klarer Zielstellung ableiten kann. Hier stoßen wir auf die erste Hürde: das heutige Management in Unternehmen besitzt zu wenig multi-disziplinären Wissen, das Transformations- als auch KI-Expertise beinhaltet, um solch eine Veränderungsstrategie zu entwerfen.

Was ist der Unterschied zwischen agil und transformativ?

Alexander Vocelka

A. Vocelka: Das Zeitalter des schnellen, flüchtigen Agilen erschwert den transformativen Gedanken per se. Agil und transformativ sind diametral entgegengesetzte Konzepte. Das eine erfordert schnelles, iteratives, eng fokussiertes, opportunistisch-taktisches Arbeiten. Das andere bedingt eine langfristige und fundamental tiefgehende Sicht von großem Kontext!

Die meisten KI-Ansätze in den Unternehmen fruchten nichts, weil sie von Anfang an als kleine, risikolose, agile U-Boote oder manchmal auch als kleine Schnellboot-Flottille, die man aber jederzeit versenken kann, aufgesetzt werden, in der Regel zusammenhanglose punktuelle Betrachtungen.

Der noch anhaltende Trend der Agilität steht transformativen Ansätzen im Weg. Unternehmen müssen erst noch lernen, wann und wo sie agil sein können und wann und wo eine transformative Entwicklung möglich oder notwendig ist.

Warum hat die große KI-Transformation (noch) nicht begonnen?

A. Vocelka: Nebst bereits aufgeführten Gründen hemmt der KI-Expertise-Mangel auf Umsetzungsebene die Verbreitung von KI in den Unternehmen. Ein weiterer Faktor ist die frühe Zentralisierung von Lösungen durch die Cloud-Anbieter, die eine individuelle Adaption in Unterhemen weitgehend unterbindet. War anfangs noch eine diffuse Angst der Arbeitnehmer vor der unbekannten KI eine Hürde, so hat sich diese weitgehend aufgelöst, da die Menschen seit Oktober 2022 – als OpenAI die LLM-Modelle für die Masse zugänglich machte, aufgelöst – und sogar umgekehrt.

Die Menschen nutzen KI für immer mehr wichtige private Entscheidungen und planen teilweise ihren kompletten Urlaub damit, während in den Unternehmen lähmende Unsicherheit grassiert. Hyperregulation im Datenbereich und Angst vor KI-Bias und politisch inkorrektem Verhalten führen dazu, dass die Unternehmen auf punktueller Chatbot-Ebene stecken geblieben sind.

Der große Zweig des Machine Learnings durch Narrow AI – also Ensemblen von spezifischen Aufgaben-orientierten KI-Lösungen im Bereich der Erkennung, Analyse, der Vorhersage und vor allem der Optimierung, die hohe Mathematikexpertise bedingt – wird nach 14 Jahren moderner GPU-Technologieunterstützung und revolutionärer Algorithmen kaum genutzt. Und gerade bei den Optimierungsmodellen liegen die größten Wertschöpfungspotenziale.

Womit wir beim Business Case sind. Das stärkste Argument von KI ist sein natürlicher Produktivitätssprung. KI ist der vierte Produktiv-Faktor – aber die wenigsten Unternehmen haben die Kompetenz KI Business Cases zu ermitteln. Was natürlich auch der mangelnden KI-Expertise insgesamt geschuldet ist.

Welche neue Transformationschance bietet das Zeitalter der KI-Agenten?

A. Vocelka: Aktuell treten wir in das Zeitalter der KI-Agenten ein, und hier sehen wir, welch transformative Kraft mit ihnen entfaltet werden kann. Die KI-Agenten werden der Lithmus Test für die Unternehmen sein. Können Sie Aufgaben komplett an KI übertragen, die sowohl rechtliche als auch physikalische Konsequenzen hat. Können sie loslassen. Dieses Loslassen bei der KI ist transformativ.

Es bedeutet, dass KI-Agenten Aufgaben vollständig als echte Agenten, also Handlungsbefugte, die maximal andere KI-Agenten, aber nicht mehr der Mensch wirtschaftlich sinnvoll und komplexitätsmäßig machbar überprüfen können. Beim echten Autonomen Fahren, bei dem natürlich der Fahrer keine Rolle mehr hat, sonst ist es nicht autonom, ist das Auto der Agent, der die ultimative Entscheidung trifft und handelt- bremsen, nicht bremsen, ausweichen, nicht ausweichen etc. Autonomes Fahren ist per se transformativ, da der Mensch seine Fahrerrolle komplett verliert und auch das Auto ab dem Moment ganz anders genutzt wird. Sie können ihre Kleinkinder in ihren Robocar setzen und ab geht es in die Schule.

Wie sieht es bei der privaten KI-Transformation im Vergleich zu Unternehmen aus?

A. Vocelka: Ein paar Beispiele dazu: die Planung des Kabinenpersonals bei Fluggesellschaften könnte über Nacht gelöst werden – jedoch kein Unternehmen geht das Thema an. Dasselbe gilt für die Flugpläne, etc. Logistikunternehmen allgemein nutzen immer noch kaum KI, dabei könnten sie zu 95% durch KI optimiert und gesteuert werden. Die AI Driven Factory ist nach wie vor eine völlig unerreichte Vision, obwohl alle Technologie und alle KI-Modelle dafür seit einigen Jahren existieren. Stattdessen fällt man zurück in MES-Zielsetzungen, die 20 Jahre alt sind.

KI in Unterhemen leidet an seiner punktuellen Anwendung, die niemals transformativ sein kann.
Anstatt zu fragen, was alles wollen wir der KI überlassen und dann darauf die AI-Company zu konzipieren und als Strategie zu verfolgen, baut man Use Cases. Es ist nicht verwunderlich, dass die Menschen inzwischen nicht mehr glauben, dass man auf dem Mond landete. Es fehlen kühne Visionäre mit Expertise und Macher-Drive in den Unternehmen, landauf, landab. Ich habe in den letzten 10 Jahren Hunderte von Lösungen für alle Funktionen in allen Industrien entwickelt, fast alle bedeuteten jeweils einen Quantensprung und alle waren Business Case-basiert und erzielten Hunderte von Prozenten ROI.

Welche besonderen Herausforderungen gibt es in Europa im Vergleich zu anderen Regionen der Welt?

A. Vocelka: In Europa sieht man sich einer massiven Verrentung von Wissen gegenüber, und dennoch wird vor allem die KI-Regulation gefördert. Alles wird erst mal als Gefahr gesehen statt als Chance. Diese Sicht steht jedweder Transformation diametral gegenüber. Aktuell lässt sich sagen, dass die Menschen offener und transformativer mit KI umgehen als das die Unternehmen tun – das ist neu und zeugt von einer Entwicklungsschwäche der regionalen Wirtschaft. Entscheidend im globalen Wettbewerb ist tatsächlich die Transformationsfähigkeit bezüglich KI- die eine direkte Funktion der lokalen Kultur ist. Die Sicht auf KI als Chance oder Gefahr unterscheid et klar die asiatisch-chinesische KI-Dynamik von der europäischen Zurückhaltung.

Wen braucht es für eine KI-Transformation im Unternehmen?

A. Vocelka: 10 Jahre KI-Transformationserfahrung haben mich gelehrt, dass es genau zwei Transformatoren im Unternehmen benötigt, um eine strategische Initiative zu starten und zu realisieren.
Einen hinreichend engagierten KI-Promotor auf Ebene zwei oder drei und einen Vorstand, der den Promoter und das Thema strategisch sponsort und durchdrückt. Diese Konstellation kann Welten bewegen und eine Unternehmens-Transformation auslösen, zumindest eine Funktionsweit. Wir benötigen starke, kompetente Transformatoren in den Unternehmen, um die KI-Transformation und ihr gigantisches Wertschöpfungspotenzial zu aktivieren!

Welches Fazit würden Sie für unser Gespräch ziehen?

A. Vocelka: Zusammenfassend können wir also sagen: KI kann nur transformativ wirken, wenn sie auch so verstanden und eingesetzt wird. Sie hat hochtransformatives Potenzial, wenn wir dieses bewusst und gezielt aktivieren und nutzen. Dazu benötigen wir erfahrungsgemäß genau nur zwei Leute im Unternehmen die die KI-Transformation nicht als loses Sammelsurium von Use Cases verfolgen, sondern als strategisches Konzept mit klarer Vision, klarem Business Case der signifikant ist und einem high-level Plan. Die Quintessenz ist die, dass die KI-Transformation im Unternehmen mit zwei menschlichen Transformatoren beginnt.